Exposé

                                                     

S P O T T K E  -  D E R   M I T T E L P U N K T   D E R   E R D E

 

Autor: Reiner J. Nagel

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Der geplante Film soll die Entstehung des Werkes „Das Rad der Zeit“ dokumentieren  und den Künstler Jürgen Spottke portraitieren, der mit seiner Arbeit und Kunst die Oberlausitz prägt.  Es entsteht ein essayistischer Heimatfilm im besten Wortsinn, der sich um Spottke herum mit der Vielfalt, der Kultur, den Traditionen, Bräuchen, Streitthemen (Demos B96) und der der Oberlausitz als paradiesischer Landschaft mit großem Potential auseinandersetzt. Vor allem soll er den Menschen dieser Region die Möglichkeit bieten, sich und ihr Leben in den „Mittelpunkt der Erde“ zu stellen. Der Film lässt sie aufeinandertreffen, ohne zu urteilen, da jeder mit seiner Lebensleistung vor und nach ´89 Teil der Geschichte ist, die Respekt verdient hat, solange das bundesdeutsche Grundgesetzt und die Verfassung geachtet werden und die Bundesrepublik nicht in Frage gestellt wird.

 

Ich wundere mich nicht mehr über die verschiedenen Typen von Künstlern. Ich wundere mich auch nicht mehr darüber, dass Regionales weiterhin (außer beim Essen, da hat man jetzt erkannt, dass es besonders gut ist) als klein, günstig zu haben, minder wertvoll und nicht der „großen Kunst“ ebenbürtig – eben regional erachtet wird. Nein… ich habe gelernt, daraus zu schöpfen. So wie er. Spottke.

 

Diese Erkenntnis begann mit dem Film „Die Zärtlichkeit des Steins“  über Juraj Kubanka, diesem weltberühmten slowakischen Choreographen, der das sorbische - und das Slowakische Nationalensemble prägte und der sein ganzes Leben der Folklore, die ebenso als minder wertvoll (z.B. im direkten Vergleich mit der Klasse eines Rudolf Nurejew oder der Berühmtheit des Schwanensee´s und des Bolschoj´s) erachtet wurde und immer noch wird, verschrieb. Kubanka sagte, dass alle Kunst der Folklore entspringt. Also der Überlieferung aus dem volkstümlichen. Also dem Regionalen. Sie ist die Basis. Aus ihr entwickelt sich das, was gemeinhin als “das Große” oder das “besonders Wertvolle” gilt. (“Die Zärtlichkeit des Steins” ein Film von Reiner J. Nagel und Hellmuth Henneberg über die Steinarbeiter der Lausitz, 2019, rbb) https://www.reinernagel.com/filme/2019-die-zärtlichkeit-des-steins-juraj-kubanka/

 

Die regionale Basis für diesen Film ist die Oberlausitz. 

Nun gibt es Menschen, die schon zeitig wissen, wo sie hingehören. Ich gehöre nicht dazu. Der im sächsischen Sohland geborene Spottke schon. Sein Leben, seine verstaubten und schon vom Holzwurm an deren Vergänglichkeit erinnerten Werke, sind wie an die Oberlausitz gekittet. Jetzt an Wilthen, das Butterwasser, welches hinter seinem Haus gnädig dahin fließt und aller hundert Jahre mal anschwillt und sein Haus im Mittelweg hüfthoch unter Wasser setzt. Holz kann Feuchtigkeit aufnehmen und wieder abgeben. Spottke bleibt gelassen. Wäre er “nur” Maler, wäre die Sache eine andere. 

Unbewusst und unterbewusst umgibt mich Spottke schon mein ganzes Leben, denn eines seiner Werke, ein Relief mit sorbischen Motiven, hängt im Gasthof meines eigenen Dorfes Radibor, wo ich 1997 selbst eine Lehre zum Zimmerer abschloss. Holz ist also auch mein Werkstoff.  

Das Holz bestellt er bei Matthias Hennig aus Grünbusch in der Gemeinde. Ein Kaff mit drei Häusern, Durchgangsstraße, ringsum Felder.  Mit Hennig verbinde ich tiefe Trauer und unermässliches Leid, aber auch übermenschliche Stärke und den Willen, die Kinder nicht im Stich lassen zu dürfen, auch wenn der eigene Lebenswille schwindet. Als Junge, als Ministrant, diente ich bei der Beisetzung seiner Frau. Ich erinnere mich an diesen schönen Menschen, dem ich als Kind im Alltag wenig Beachtung schenkte. Erst das Bild der jungen, dreifachen Mutter im Sarg, deren Gesicht mit einem Tuch aus Tüll abgedeckt war, man den Krebs in ihrem jungen Gesicht aber trotzdem sehen konnte, brannte sich in mein Gedächtnis ein wie ein Brandzeichen in den Muskel. Nun, ich habe Hennig seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen, holt Spottke sein Holz bei ihm und es schließen sich Kreise, die Heimat zu dem machen, was uns prägt. Ein Zustand, in dem Ort und Seele, aber auch Menschen und ihre Schicksale eine Einheit bilden.

Neulich wollte ich ihn treffen. Spottke war krank. Ob er Sauna mache, fragte ich ihn. Er hätte eine Infrarotkabine in seiner kleinen Mietshauswohnung, die keine 300 Meter von jenem Haus, seinem Atelier entfernt ist. Aber die kann er nicht nutzen. Da hat er die Schnapsflaschen reingeräumt, als seine Heizung ausfiel, meinte er mit einem verschmitzten Lachen. Um die Heizung zu reparieren, musste die ganze Wohnung umgeräumt werden. Die Flaschen kamen in die Sauna. Und so wurde er krank. Aber im Atelier ist alles vergessen. Hier ist ihm immer warm, auch wenn man die Luft vor seinen Lippen sehen kann.

Ruhe findet Spottke nur in seinem Atelier. Später einmal, wenn er nicht mehr ist, wird es, dessen bin ich mir sicher, ein Museum werden. Es soll das älteste Haus der Stadt Wilthen sein, die mit dem Weinbrand in Verbindung gebracht wird, nicht jedoch mit der Kunst. 

Dieser Film wird ein essayistisches Portrait über einen Mann, der Worten auszuweichen versucht. Ich kannte schon einmal einen solchen Künstler. Meinen Lehrer an der Prager Akademie Prof. Jiři Macak. Ein bedeutender Kameramann der so berühmten tschechischen Schule der Nachkriegszeit. Auch er war kein Redner. Darum schätzten ihn alle. Er glänzte allein durch sein Werk. Mein Film über ihn wurde in jeder Hinsicht besonders, denn er vermochte seine verborgene Seele sichtbar zu machen. 

https://www.reinernagel.com/filme/2008-famu-letopis-portrait-kameramana/

Welche Farbe hat sie Seele? Ist sie farbig? Ist sie bunt, schwarz oder weiß? Oder nur Licht?

Während meiner vergangenen Arbeiten habe ich immer wieder festgestellt, dass Farbe Aufmerksamkeit bindet. Und was Aufmerksamkeit bindet, lenkt oft vom Wesentlichen ab. Dem Gesagten, dem Unausgesprochenen, dem, was zwischen den Zeilen, zwischen den Atemzügen zu hören oder zu sehen, aber am ehesten zu fühlen ist.

 

„S P O T T K E“ wird ein Film ohne Farbe. Da Film aber ein visuelles Medium ist, wird Licht die Wahrnehmung leiten. So wie Rillen, Furchen und Erhebungen in Spottkes Werken, die herausstehen oder tief ins Holz eingeschnitten sind, wird das Licht das Relief des Filmes herausbilden. 

 

Sächsische Schweiz, im Film wird das Bild Parallelen aufweisen zu den Tagebaufolgelandschaften (sorbisches Sub-Thema)

Während Spottke das „Rad der Zeit“ umsetzt, welches aus vier Reliefs bestehen soll, wird schätzungsweise ein Jahr vergehen. In dieser Zeit werde ich ihn filmisch eng begleiten. Ich werde nicht nur ihn und sein Atelier, sondern subtil einen Querschnitt der Gesellschaft der Oberlausitz abbilden. Ich möchte es schaffen, eine geografische Randregion in Deutschland durch Spottkes Brille und sein Werk zu sehen. Die Kamera begleitet ihn zu politischen Veranstaltungen, zu Festen, zu Familienfeiern, vlt. zu Beerdigungen oder zu seinem sechzigsten Hochzeitstag, der im Dezember ansteht. Seine schwerkranke Frau, die ans Bett gefesselt ist, pflegt Spottke hingebungsvoll.

Spottke hat einen Traum. Er möchte einmal mit den Hurtigruten die norwegische Küste befahren. Die nordische Mythologie, die Landschaft, die Trolle, das Meer, die Fjorde. All das verzaubert ihn, lässt ihn träumen. Die Kamera soll ihn auf diesem Weg begleiten. Hier soll er Inspiration, hier soll der rastlose, der wortkarge Lausitzer seinen Frieden finden. Die Lausitz und die nordische Mythologie sind sich nicht unähnlich. Die einen haben die Trolle, die anderen die Lutken oder einen Pumphut.

Der nach den vergangenen Dürresommern gestorbene Wald der Lausitz  ist für Spottke eine klaffende und schmerzende Wunde die lange brauchen wird, um zu heilen. Denn seine Leinwände sind Bretter, Bohlen, Stämme. Zu ihnen gehören Risse, Äste, Verwerfungen. Von ihnen lässt er sich oft leiten, erschafft das Werk den gegebenen Werkstoff respektierend. Risse werden so zu dramaturgischen Elementen, Astlöcher zu Sprachblasen, die jedoch kein Wort hervorbringen aber Bände sprechen.

Dieses Werk wurde im Albertinum in Dresden ausgestellt

Der Mensch wird zum Menschen, wenn ihn der Kosmos, der ihn umgibt, beeinflusst und der durch ihn selbst beeinflusst wird. Spottkes Kosmos ist vielfältig. Hier wechselt Religion mit Pseudoreligion, die Sprachen Sorbisch mit Deutschem und dem gerollten „r“ der oberlausitzer Mundart. Der Wald mit gerodetem Nichts, Historie mit Zukunft. Der Tag mit der Nacht. Alles hat Einfluss aufeinander und auf den Menschen. Als Individuum, aber auch als soziales Wesen, das Einsamkeit gleichsam sucht wie fürchtet.

 

Religion ist historisch betrachtet ein wichtiger Faktor, der diese, unsere Landschaft prägte. Kultur, Gebet, Gehorsam, Widerstand. Alles gehört dazu. Die Enge und die Verfehlungen der Institution und ihrer Mitarbeiter jedoch treiben den Gläubigen aus den Häusern Gottes, wo sie Spiritualität fanden. Bis heut sucht der Mensch Spiritualität, die sich in ihren Ausprägungen glücklicherweise ändert, was dem Einzelnen, dem Individuum Mensch mehr Freiheit bietet. Und doch halten andere an der Kirche fest. Aus gutem Grund. Denn Gott, daran glauben sie, ist größer, als die Verfehlungen seiner Diener.

 

 

Jedoch ersetzt ein sich manifestierender, politischer Kampf, der an einen Klassenkampf erinnert, die innere Bereitschaft, den anderen als ernstzunehmendes Wesen zu sehen, der Gründe hat, zu handeln, wie er handelt. Der Unterschied zwischen Spiritualität  (Spiritus lat. für Geist) und Kampf ist, dass der Mensch in der Spiritualität nicht danach trachtet, den Anderen zu bekämpfen oder zu überzeugen, sondern sich selbst zu ergründen und somit die Grundlage zu schaffen, für den Anderen zugänglich zu bleiben oder zu werden. Und sich selbst für wertvoll aber nicht für den Maßstab zu halten.

Die Bundesstraße 96, die von Zittau nach Sassnitz führt und das ehem. Staatsgebiet der DDR in zwei Teile teilte, steht metaphorisch für die Trennung zwischen den Lebenseinstellungen der Lausitzer. Rechts oder Links, Konservativ oder Liberal. Russland oder Ukraine, Nato oder nicht, Impfen oder Immunsystem, Klimawandel. Für viele Lausitzer waren die Probleme der letzten Jahre zu viel, die nach der Diktatur der DDR wünschten, frei und in Frieden leben dürfen. 

Gegendemo zu den sonntäglich stattfindenden Querdenker Kundgebungen an der B96

"Lieber 7 sorbische Könige als einen deutschen Kaiser" - Anspielung an die  Siedlungsgeschichte der Oberlausitz und die ethnische Vielfalt

Spottke macht sich über Spiritualität, über die richtige und die falsche Politik, über die Nato und mRNA wenig Gedanken. Die Wirren der Zeit lässt er stoisch an sich abperlen. Denn er hat eine Aufgabe. Die Kunst und das Holz. Und ohne es als solche zu artikulieren, lebt er in einer tiefen Spiritualität. Seine Atmung verlangsamt sich beim Schnitzen, sein Spiritus weitet und fokussiert sich gleichzeitig. Denn er hat eine Aufgabe. Die Kunst und das Holz. 

Nur der tote Wald treibt ihm die Falten ins Gesicht. Und lässt ihn sorgenvoll in die Zukunft sehen. 

Die statische Kamera wird keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Schwenks bleiben die Ausnahme und werden wenn nötig kaum merklich durchgeführt. Es wird kein Film, der dem Sorbischen oder dem Deutschen zugeordnet sein will, sondern einer, der selbstverständlich mit den Gegebenheiten, seien es sorbische oder deutsche umgeht. Beide Sprachen, sowie die oberlausitzer Mundart stehen gleichberechtigt nebeneinander.

„Nimm … a bleedes Wort.“

 

Das „r“ rollt Spottke in der Mundart typischen Weise.

 

„Mustsch erschtma im Duden gucken. Mit eehm oder mit zwee „m“.

Mit der Rechtschreibung tusch ma immer schwer…“

 

Einen Mann wie Spottke kann man Situationen nicht ein zweites Mal spielen lassen. Man muss jede Regung bei ihrer Entstehung einfangen. Danach ist sie für immer verloren. 

Was ich sagen kann, ist, dass Jürgen Spottke sehr glücklich darüber ist, dass ihm jemand diese Aufmerksamkeit schenkt. Mit seinen Fähigkeiten arbeitete er lange Jahre als ABM-ler. Also in einer Arbeits-Beschaffungs-Maßnahme. Damals entstanden in der Region wundervolle Kinderspielplätze, die seine Handschrift tragen, wie der in Crostau. Einige sind jetzt bereits verfallen. Was in der Natur des Holzes liegt. So wird auch Spottke eines Tages nicht mehr sein.